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Kindheitserinnerungen

Es gibt Dinge, die mir die aus Rührung die Tränen in die Augen treiben. Ich habe einmal eine mobiles Einsatzkommando der Augsburger Puppenkiste bei einem Einsatz im Deutschen Herzzentrum München bewundern können. Sie kamen mit einigen Säcken, aus denen oben Stöcke herausgeragt sind. In jedem Sack befand sich ein Bühnenbild. Bei Szenenwechsel haben sie einfach das Band am oberen Sackende gelöst und es stellte sich heraus, dass das Sackinnere ein klug dekoriertes Stück Stoff war. Am Boden befand sich eine runde Holzscheibe, auf der auch mal Tische und Stühle für die Puppen festgeschraubt waren. Ich wurde damals so heftig in meine Kindheitstage katapultiert, dass mir die Tränen kamen (das ist die "männliche" Erklärung - ich will mir ja nicht nachsagen lassen, dass ich sentimental sei).

Irgendwann im letzten Jahr - es war September oder Oktober - wurde ich noch einmal an die Augsburger Puppenkiste erinnert und ich beschloss, diese endlich mal zu besuchen. Als diffuser Plan hat das schon seit Jahren in mir existiert: "Robin, du bist jetzt so nah an Augsburg, da solltest du mal zur Augsburger Puppenkiste fahren". Ich bin wahrscheinlich nicht der Einzige, der schon an so manchem "sollte" gescheitert ist.

Dennoch: letztes Jahr habe ich mich dann ein wenig umgehört, ob wohl noch andere Leute Interesse an einem Besuch in der Augsburger Puppenkiste haben und letztendlich habe ich angerufen, um 20 Karten, "möglichst nebeneinander und an einem Wochenende" zu bekommen. Damals sagte man mir, dass dies am Ostersonntag 2005 möglich sei. Allerdings hatten sie mir nicht verraten, dass es sich bei diesem Sonntag um Ostersonntag handelt und weil wohl doch viele Leute Ostersonntag etwas anderes machen wollen, als zur Augsburger Puppenkiste zu fahren, habe ich die Kartenbestellung für Ostersonntag storniert und mir 20 Karten für den nächst möglichen Zeitpunkt zuschicken lassen. Das war Pfingstsonntag 2005. Heute.

Vor einem knappen Monat hatte ich begonnen, die Interessenten von damals noch mal an diesen Termin zu erinnern und natürlich sind dann die Hälfte der Leute abgesprungen, weil sie plötzlich etwas anderes vorhatten. Allerdings kann man wohl für so eine Unternehmung leicht Ersatz finden. Andere Interessenten waren schnell gefunden und zusätzlich zu den 20 Karteninhabern fuhren sogar noch 2 weitere Personen mit, um an der Kasse noch Karten für diese Vorstellung zu bekommen, was dann auch relativ problemlos möglich war.

Das Durchschnittsalter des Publikums würde ich auf ca. 20-25 Jahre schätzen, denn viele Kinder hatten zwischen zwei und vier Begleiterwachsene dabei.

Ich habe meinem Sohn eine Carrerabahn gekauft, als er zwei Jahre alt war und aus einem ähnlichen Motiv war wohl auch die Frau mit dem zweijährigen Kind in der Reihe hinter mir aufgetaucht. Sie hat das Geschrei des Kindes die Vorstellung über tapfer ertragen. Nachdem ich aber weiß, dass Zweijährige noch Windeln tragen, wusste ich, dass es auch schlimmer hätte kommen können und habe mich auf die Vorstellung konzentriert.

Die Sitzplätze vor der Bühne sind nicht alle zu empfehlen: in der ersten Reihe sollten nur Menschen größer 1,70m sitzen und in der zweiten Reihe sollte man als Mindestgröße 1,30m haben. Kleinere Menschen haben wohl ein Problem über die Kante der Bühne zu spähen. Ab Reihe acht braucht man ein Opernglas oder eine Menge Phantasie. Übrigens braucht man auch eine Menge Vorstellungsvermögen, wenn man zu weit außen sitzt: stellt euch vor, ihr seht auf einen Fernseher und das Geschehen findet nicht vorne auf dem Bildschirm statt, sondern im Fernseher. Wer da zu weit daneben steht, sieht nur die Hälfte...

Falls jemand mal hin möchte: ich empfehle Reihe 2, Platz 15 und 16.

Einer der Leute, die auf gut Glück mitgekommen sind, hatte eine Karte mit dem Vermerk "Eingeschränkte Sicht" bekommen. Er saß hinter einer Säule, hatte aber das Glück, dass eine andere Frau mit einem Alibikleinkind so fair war, ihren Platz zu räumen, nachdem das Blag zehn Minuten am Stück geschrieen hat. Von ihrem Platz aus hatte er auch eine gute Sicht auf das Bühnengeschehen.

Die Vorstellung selber war wunderbar: ich habe glückselig sabbernd auf die Bühne gestarrt und meinen Sohn jedes mal angeblafft, wenn er mir wieder mal sagte, dass er schrecklich durstig sei:

"Papa?"
"..."
"Papa?"
"...!"
"Papa?!"
"Ja?"
"Papa, ich hab schrecklichen Durst."
"Trinken ist hier verboten - in der Pause geb ich dir was"
(Pause)
"Papa?"
"Ja!"
"Ich hab immer noch schrecklichen Durst!"
"UND WENN DU MIR DAS NOCH HUNDERTMAL SAGST GEB ICH DIR HIER TROTZDEM NICHTS! WARTE GEFÄLLIGST BIS ZUR PAUSE!!!"
(Pause)
"Papa?"
"WAS?!"
"Wann ist die Pause?"
"Ich weiß es nicht, aber ganz egal wie oft du fragst, sie wird deswegen nicht früher anfangen..."

Dieser Dialog am Ende hat mir besonders zu schaffen gemacht. Gestern Abend habe ich ihm noch gesagt, dass ich mir für heute den Wecker gestellt habe und dass wir aufstehen müssen, wenn der Wecker klingelt. Ab 6 Uhr hat er mich in 20 Minuten Abstand gefragt: "Papa?", "... ja...", "Wann klingelt der Wecker?". Geklingelt hat er dann schlussendlich um 9:30, aber da war ich schon total fertig...

Nachdem ich mir dann irgendwann sicher war nicht sauer zu sein, weil ich überhaupt aufstehen musste, sondern weil ich die letzten drei Stunden meines Schlafes zu 1/10 mit sinnlosen Gesprächen mit meinem Sohn verbracht habe, habe ich beschlossen, ihn über die Sinnhaftigkeit und Folgen seines Handelns aufzuklären.

Aber ich habe ein wenig den Kurs verloren...

Das Stück, das aufgeführt wurde, war mir gänzlich unbekannt: "SoHi und das weiße Pferd"
In der ersten Szene taucht das weiße Pferd (ein Wunderpferd: wenn es 3x aufstampft, dann kann man sich was wünschen und dieser Wunsch geht in Erfüllung. Dummerweise habe dieses Pferd aber noch niemals nie dreimal aufgestampft..) und der kaiserliche Stallbursche, ein kleiner, gebrochen deutsch sprechender Negerjunge, auf. Während ich mir noch überlege, dass der Kleine im deskriptiven alliterationsverliebten Namensraum von Benjamin Blümchen wahrscheinlich "Bim" heißen würden, "Bim Bo", tauchen auch schon die nächsten Figuren auf: der Mandarin und ein General namens Blanko. Und schon wieder springt der von Vorurteilen gelenkte Teil meines Verstandes in den Vordergrund meines Bewusstseins. Der Mandarin sieht aus wie König Ludwig, der Viertelvorzwölfte: sogar der Puppenadel ist der Inzucht verfallen...

Nein, alles quatsch (obwohl der Mandarin wirklich so aussah wie König Ludwig, der Viertelvorzwölfte und ich zwischendurch einmal mit den Namen durcheinandergekommen bin und dachte, sie hätten tatsächlich den Negerjungen Blanko getauft, aber der hieß Bu-Tai (Vielleicht ist mir auch nur der Scherz hinter diesem Namen entgangen...?). Ich habe jeden Moment genossen, es war prima und ich werde mir wohl auch irgendwann einmal eine bekanntere Geschichte gönnen. Dann auch ohne mein Alibikind. Vielleicht einmal Faust? Aber das braucht Vorlaufzeit...
Fienchen K. - 2005/05/15 23:19

Üch wooois nücht was soll es bedooiten

Wie schön...
Das Urmele ist eines der wenigen Stücke, an die ich mich noch lebhaft erinnere, allerdings damals im Fernsehen genossen. Die Marionetten hatten dabei eine merkwürdige Art, ihre Sätze mittels punktierten Bewegungen zu unterstreichen (manchmal auch nur mit dem Kopf nickend). Ich versuchte, diese Art des Sprechens zu kopieren, was mir ebensowenig wie die schwebende Gangart gelang. Irgendwann war ich dann stolzer Besitzer von drei Marionetten (die komplizierte Version mit den vielen Fäden). Mir ist heute noch schleierhaft, wie sich die Fäden andauernd verknoten konnten, obwohl ich so aufgepasst habe. Gescheitert ist meine Karriere als Puppenspieler allerdings an fehlenden Bühnenbildern; diese Wasserimitation habe ich nie hinbekommen und die Puppen wurden regelmäßig nass.

Ich fürchte, der finanzielle Aufwand bei der Anschaffung eines Alibikindes steht bei mir nicht im Verhältnis zum Nutzen.

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Online seit 7136 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2006/06/26 23:31

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